GalerieJoshua
Am Teich
Tusche Zeichnung coloriert
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ERNST KREUDER
ABEND AM SEEUFER
Wenn man oben aus der Tür trat, sah man den Grashang des Gartens hinunter und dahinter die flirrenden Büsche wie Laubnetze am Ufer, graugrün und mit kalkigem Licht geflickt, und in den Lücken der Laubwipfel den glasgrünen See. Er folgte den ausgeblichenen Sandsteinplatten durchs hohe Gras hinunter und ging zu der alten Zwillingsbuche die starren Zweige hingen in Schulterhöhe über dem regenklaren Wasser. Hier war es schon nicht mehr hell. Er setzte sich hinter den morschen Pfostentisch auf die dunkle Holzbank und hörte das Wasser am Treppenstein schwappen. Am Nachmittag war er in den See hinausgeschwommen. Danach lag er im Gras in der Sonne, und die Welle die das Fünfuhrschiff gegen das Ufer schickte, waren m einem kehrenden Rauschen über den Strandkies gezogen und mit einem rollenden Fegen verklungen. Dann rief ihn die Telefonglocke nach oben. In der feuchten Badehose barfuß, nahm er den Hörer im kühlen, halbdunklen Flur von der Gabel. > Ja? Nein, noch nicht so recht. Wenn du kommst, wollen wir darüber sprechen. Ja, im Garten unter der großen alten Doppelbuche.< Jetzt wartete er auf der verquollenen Bank unter den reglosen Zweigen. Über dem See blieb es noch eine Zeit lang hell. Gelbliches Wolkenweiß in der Nähe und dahinter die braunen und grauen Tiefen. Er hörte wieder das Wasser schwappen und oben auf der Landstraße das hämmernde Heulen und wie das Motorrad in der Ferne brummend verschwand. Später das kurze eiserne Klack als das Gartentor zufiel. Schritte über den Gartenkies, den Gartenweg herunter und das hauchende Rauschen, jemand kam durchs hohe Gras. Er stand auf und ging ihr entgegen. Sie trug den grau- grünen Lodenmantel offen und hielt den geflochtene Korb im Arm. Flaschen klirrten darin. Sie war fast so groß wie er und für sechsundzwanzig viel zu schmal. >Wie ist's dir ergangen?« fragte sie zwischen munterer und ängstlicher Erwartung. Er zog sie leicht an sich, strich über ihre dunkelblonden Haare, sie kräuselten sich im Stirnansatz, seine Hand glitt über den schmalen Hinterkopf und er küßte die laubglatte Wange. >Weiß man's?< sagte er. »Dann ist's nicht so schlimm«, sagte sie erleichtert. »Schlimm genug,< sagte er lachend. Sie gingen durch das bräunlich grüne Abendlicht unter die Buche und setzte sich auf die schwarze Bank. Oben, im riesigen Geäst landete eine Krähe. Sie schwiegen und rauchten und blickten unter dem dunklen Laub hinaus auf den See. Die schwebenden Farben der Dämmerung veränderten sich wie stehen gebliebener Rauch . >Hast du arbeiten können?< fragte sie. Als sie nicht mehr rauchten, war der faulige Geruch stärker zu spüren. >Ich hab's versucht«, sagte er. - »Wie fühlst du dich denn?> >Wie man sich fühlt, sagte er, »das ist nicht alles, was vorgegangen ist. Also nur Versuche, noch nichts vorzuweisen, Schnittmuster vielleicht, Musterbogen für Geschichten. Die feuchte Luft wurde kühl. >Erzähl doch bitte«, sagte sie. >Wenn du hier bist <, sagte er, fühl ich mich nicht mehr so untauglich. Kein Grund zu Selbsttäuschungen. Was man nicht voranbringt, wenn man lange allein ist, taugt nicht allzuviel.< »Ist das nicht etwas streng<? » Sieh dich um«, sagte er, »über uns der alte Baum. Draußen die Wassertiefen, das Wasserlicht, grau, blau und an den Ufern schwarz. Die Wasserstille. Meilen um Meilen Sommerabend, und man hört sie nicht sinken, die Abendmeilen. Das ist nicht nur mit Welt angefüllt bis zum Himmel, von den Luftfarben des Abends durchweht, mit dem Perlmutt der Stunde überzogen, das ist nicht nur wortlos im Flüstern der Zeit weitererzählt - das ist vor allem so entmutigend und ohne Ende und undeutbar vollkommen.« Sie strich leicht über seine Hand. >Voller Welt ohne Ende«, sagte er. Wieviel war seit jeher davon geplant? Wenn wir versuchen, zu erzählen, holen wir die Fülle nicht ein. Ein unendliches Immerzu von Welt. Was ins Treibnetz der Worte gerät, ist doch schon wieder vergangen. Sommerabend, See-Ufer und Gärten, Baumwiesen - was uns davon erscheint, ist schon im Vorübertreiben, über die Wasserlinien des ,Jahres, vorbei an den Flutmarken der Zeit. Sie rauchten wieder, niemand sprach. Sie nahm die Wassergläser und die Bierflaschen aus dem Korb. Er öffnete den Flaschenverschluß mit dem Daumen, >plob«, ließ das Bier in die Gläser fließen, die er schräg hielt. Sie tranken sich zu im Halbdunkel, in der Lautlosigkeit. »Sprich doch weiter, bitte.< »Es wurde mehr und mehr vergessen>, sagte er. <>Jahrhundertelang hat man Geschichten von Männern und Frauen geschrieben, die Irrfahrten von Glück und Unglück. Wozu, am Ende, wurden sie erzählt? Nicht, um die Welt zu erzählen. Man hat die Welt ausgeliehen dazu, die Gärten und Weiher, die Wiesen und die Brombeerwildnisse, Heuduft und Farngrün, Felder und Wälder. Berge, Ströme und Wolken, ausgeliehen, um die Geschichten vom Glanz und vom Elend, von der Lust, von den Schmerzen, vom Leid zu erzählen. Als könnte der Weltgrund der Bilder davon ihre Geschichten bewahren vor dem Verhängnis ihrer Nichtigkeit . . .<, Er schwieg, schenkte Bier ein und trank. »Erzähl doch weiter, bitte.<< >Am Meer,< sagte er, »ist es mir eingefallen. Die wirklichen Geschichten erzählt niemand. Hinter dem Haf auf der Insel war ich den leeren Strand entlang gegangen über eine Stunde. Es war schon heiß, aber der Wind vom Meer kühlte die Luft. Ich wollte bis zu den vierzehn Palmen gehen und mich dort in den Schatten setzen. Begegnete nur einem einzigen Mann. Er ging neben seinem hochbeladenen Karren her, der zweirädrige Wagen triefte von dem nassen Tang, der den Strand weit bedeckte, und das knochige Pferd kam auf dem federnden Tang nur langsam voran. Dann hörten die angeschwemmten Tangschichten auf, und ich zog die Stoffschuhe mit den Agavenfasersohlen aus und lief auf dem hellgrauen weichen Sandstreifen. Die weißen Schaumwellen spülten durchsichtig über meine Füße. Der steinblaue Himmel leuchtete klar aus unerbittlichen Weiten. Als ich zu den staubgrünen Palmen kam, fand ich einen Platz, um im Schatten zu sitzen. Was ich von fern für Gras gehalten, war niedriges, sprödes Stachelkraut. Ich ging am Strand weiter und mußte zuletzt über einen tiefen Graben springen. In dem blasigen, reglosen Sumpfwasser des Grabens lag eine weiße, tote Möwe, mit dem Kopf` im grünen Schlick. Der Strandweg war hier zu Ende, Klippen und Felsen troffen von den heranschäumenden Wassern. Ich zog die Strandschuhe wieder an und kletterte den ins Meer hängenden Felsenhügel hinauf, bis zu dem alten, pulvergelben Piratenturm. Ein runder, zugemauerter, mächtiger Turm ohne Dach: Dünne Gräser zitterten hier oben im Wind, winzige gelbe und rote Blumen. Zuerst saß ich im Schatten des Turms, dann wurde mir kalt und ich rückte in die sonnenwarme Luft. Der Felshang senkte sich steil ins Meer. Tief unter mir sah ich helle, grünblaue Inseln aus Wasser und dazwischen und dahinter die dunkelblauen und schwarzblauen Wasser der Tiefen. Weit draußen dunkelviolette Wasserstellen, gerillt vom Wind. . , " Ich saß still und blickte aufs Meer hinunter, übers Meer hin zu dem rings ansteigenden Horizont. Die Wogen rollten von weither auf den gradlinigen langen Strand zu, mit Schaumrändern, die sich sprühend, schaukelnd überschlugen. Unter mir grollte und schallte die Brandung, und der Wind sprühte den Gischt herauf. Grünblaue, schwarzblaue und dunkelviolette Wasserinseln grenzten, sich unter Wasser ab. Hier saß ich lange still und blickte aufs Meer, die Sonne im Rücken und den Wind und die Ferne im Gesicht. Ich dachte nicht mehr daran, daß hier vom Glück und vom Unglück, vom Glanz und vom Elend nichts zu erzählen war. Der riesige Turm hinter mir war Hunderte von Jahren alt. In Steinen gezählt, reichte meine Lebenszeit kaum einen oder zwei Mauerblöcke hoch. Gegen das Wasser dort unten zählten die Lebensjahre, die ich verbracht, noch nicht so viel wie eine der halbhohen Wellen, die zum Strand stürmten, zurückrollten und in sich zergingen. Dann dachte ich doch daran und fragte mich oder den Wind, ob die Geschichten, die man bisher erzählt hatte, jahrhundertelang, einmal vor dem Wasser erzählt worden ' waren, vor dem Meer und den Fernen. Mir schien, man war diesen Weiten, diesem lichtversprühenden Draußen ausgewichen. Man schien darauf angewiesen, dem Sog der Fernen den Rücken zu kehren am Tage und nachts der Blindschrift der Sterne. Vielleicht hatte niemals jemand versucht, neben dem Wasser her Geschichten zu schreiben, neben dem Wind. Das bedeutete, es hatte noch niemand eine Geschichte begonnen mit dem Sinken und Untergehen der heranflutenden Zeit, mit dem richtungslosen, dem ziellosen Hingang der Welt. Eine Geschichte ohne Hier und Jetzt, ohne Gestern und ohne Morgen, ohne Ende wie der Himmel, nirgendwo wie der Wind und überall wie das Licht. Eine Geschichte ohne Männer und ohne Frauen, ohne Glück und ohne Elend, eine Erzählung von einem langen und hohlen Wasserton...« Er schwieg, öffnete eine Bierflasche und hielt die Gläser schräg; als er sie füllte, entstand nur wenig Schaum. Ich fürchte, fuhr er nach einem tiefen Schluck fort, man wird sie niemals erzählen. Wasserbeschreibungen sind damit nicht gemeint. Die Welt erzählen ohne Hoffen und Harren, ohne Geschichte und ohne Namen, die Welt erzählen in Zeichen und Lauten - wo sollte das Erzählen beginnen, wo sollte es enden? Auch das Licht ist schon älter als die Zukunft.« >Jetzt kommen die Schwäne«, sagte sie. In dem grauen Halbdunkel erschienen sie wie graue Schatten. Das Schwanenpaar fuhr lautlos über dem stillen Wasser heran, hintereinander, dahinter schwammen in gleichen Abständen vier junge Schwäne. Er wußte, sie kamen fast pünktlich, jeden Abend, und er hatte Brotstücke für sie auf den Treppenstufen hingelegt. Sie standen von der Bank auf und gingen zur Steintreppe am Wasser, die Schwäne fauchten und schnatterten. Er warf den jungen Schwänen noch einige Brotstückchen zu, die er in der Tasche für sie aufgehoben hatte. Die Schwäne fuhren noch eine Weile im Wasser umher dann gaben sie das Warten auf, es wurde jetzt dunkel, dann sah man sie noch einmal, weißliche Schatten, einer geraden Linie hintereinander still, fast unbewegt davonziehen und im rauchdunklen Unlicht der Luft schwinden. »Das war es<, sagte sie später auf der Bank; Das war es, dachte er, und fügte hinzu: sie kann sich selbst erzählen, diese Welt. »Gehören wir denn noch dazu?< fragte sie auf der dunklen Bank. »Wir tun nichts anderes<, sagte er, »wenn wir zusammen sind. Nichts anderes, als das von uns erzählen, was von Welt heranweht in uns und mit uns vergeht.
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