Vanille-Eis mit heißen Himbeeren

Die Bremer Stadtmusikanten

 

Märchen entwirrt und neu erzählt von Johann Friedrich Konrad (aus seinem Buch: Hexen-Memoiren)

 

Alt bin ich. Weg muß ich. Sie können mich nicht mehr brauchen. Sie ersäufen oder erschlagen mich, wenn ich nicht aufpasse. Ich darf mir nichts vormachen: sie wollen mich loswerden, nicht mehr für mich aufkommen. Daß wir in einer Wegwerfgesellschaft leben, merken wir Alten zuerst. Rest? Müll? Dreck? Jedenfalls müssen wir weg. Jedes Schälchen Milch, jede Wurstpelle, jeder Schwanz eines Fisches wäre an uns verschwendet! Alles für die Jungen, die noch nützlich sind. Ich nütze nichts mehr. ich konsumiere nur, darum muß ich weg.

«Zack! »

Paß auf, Muschi, das war der Bauer! Das alte Schwein hat nach mir geschossen. Schnell bin ich ein paar Äste höher. Im Dickicht sieht er mich nicht.

Hab ich gesagt: das alte Schwein? Tja, ja. Alt» steigert, «alt» verschlimmert, «alt» ist ein Schimpf. Ich bin eine alte Katze, eine Abstellgleiskatze, eine Wegwerfkatze, eine Totschießkatze.

Ich will aber noch ein bißchen leben, ein bißchen konsumieren. Es schmeckt mir doch noch. Warum gönnen die mir das nicht? Warum darf man nur sein, wenn man nützt? Was ist das für eine traurige Ontologie? Ist un- nützes Sein nicht tieferes' Sein? Bloßes nützen oder Funktionieren ist so vordergründig, da kommt man gar nicht zu sich selbst. Ist Sein wesenhaft nur: Zu- etwas- gut- Sein: Oder nicht in Wahrheit das, was übrig bleibt, wenn man das Zu- etwas- gut-  Sein abzieht? Die Katze ist zum Mausen gut, insbesondere - nach der Ideologie der Herrschenden - Haus und Hof von Mäusen freizuhalten. Kann sie nicht mehr mausen, hat sie aufgehört eine Katze zu sein, und eine Katze, die keine Katze mehr ist, hat aufzuhören zu sein. Aber das ist doch ein Fehlschluß!

«Zack! »

Das war ein Fehlschuß. Der blöde Kerl schießt blindlings in die Blätter. Ich hau ab. Sonst trifft er doch noch. Ich will keine Abschußkatze sein. Lieber eine Abhaukatze, eine Aufbruchkatze. «Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag. »

Das Alter - ein neuer Tag? Ein neues Leben:

Ein Sein, ohne zu etwas gut zu sein, ohne zu funktionieren?

Ein Sein, das den eigenen Hoffnungen und Wünschen und nicht ` den Erwartungen und Interessen anderer entspricht? Katze zu sein. ohne mausen zu müssen - wunderbar:

Bei diesen Gedanken bin ich längst über den Zaun, den Graben entlang und ein paar hundert Meter staubigen Weges.

Aber was jetzt? Muschi wohin? Daß es immer so schwer ist, die Theorie in die Praxis umzusetzen, den Traum in die Wirklichkeit. Eine einsame Katze auf staubiger Landstraße, die in zwei Richtungen führt - ist das der Sinn des Seins, das Sein selbst

Es müßte doch ein Ziel da sein; auch wenn man alt ist müßte man ein Ziel haben.

Mein Gott, was kommen da für zwei armselige Gestalten des Weges? Ein alter Esel und ein alter Hund. Der Hund muß uralt sein: er hat mich noch nicht gewittert; er ist noch nicht los auf mich. Jetzt hat er mich gesehen, aber es durchzuckt ihn nicht einmal. Vor dem brauchst du nicht mehr auf der Hut zu sein, Muschi. Sie kommen näher, sehen mich an, bleiben bei mir stehen.

Nun, was ist dir in die Quere gekommen, alter Bartputzer? Du machst ja ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter», spricht mich der Esel an.

«Wer kann da lustig sein, wenn's einem an den Kragen geht» antworte ich. « Weil ich nun zu Jahren komme, meine Zähne stumpf werden, und ich lieber hinter dem Ofen sitze und philosophiere, als nach Mäusen herumjage, hat mich die Bäuerin ersäufen wollen und der Bauer erschießen. Ich will aber keine Abschußkatze sein, drum habe ich mich fortgemacht, aber nun ist guter Rat teuer: wo soll ich hin?

«Bei uns bist du gerade richtig», sagt der Esel, «wir können dich gut gebrauchen. »

«Ich will aber nicht gebraucht werden! Ich will endlich mal '' zweckfrei leben, ohne in die Interessen anderer eingespannt zu werden!

«Sein ist Brauch», fängt der Esel zu philosophieren an.

«Niemandem gelingt Leben, der nicht erfährt, daß er gebraucht wird. Du brauchst nicht zu befürchten, daß wir dich ausnützen oder gar ausbeuten. So sind wir nicht; das haben wir selbst viel zu bitter erfahren müssen.

Wir brauchen dich nur zu unserer Gesellschaft. Miteinandersein ist besser als Einsamsein. Überhaupt: Sein ist Mitsein; Alleinsein ist weniger als Nichtsein, falls du das verstehst, griesgrämiger Schnurrbart. »

Der Kerl philosophiert wie ich, ja besser als ich: in eine lichtere Richtung. Er gefällt mir; ich kann mich seiner Weisheit kaum entziehen.

Und schon geht's weiter. «Alles Sein beruht auf Teilung. Durch Differenzierung kommt das Ganze erst zu sich selbst. Es wird erfaßt als das Eine- in- sich- selbst- Unterschiedene. Nur in der Gemeinschaft können wir das Eine sein, und was wir haben, wird aus bloßer Nahrung zur Speise erst, indem wir es teilen. »

Ich komme nicht mehr ganz mit, und weil ich Hunger miaue, frage ich: «Was habt ihr denn?»

«Nichts. » Es ist das erste, was der Hund sagt, und er stiert mit geröteten, traurigen Augen in die Ferne.

«Noch nichts», verbessert ihn der Esel.

« Wir haben was vor, und wenn wir das verwirklicht haben, werden wir was haben, was wir teilen und essen können. »

«Was habt ihr denn vor?» frage ich gespannt.

« Wir sind aus demselben Grund abgehauen wie du: wir sind alt. man braucht uns nicht mehr und will uns nicht mehr haben. Ein schöner Lebensabend ist unser Ziel, und wenn wir nicht resignieren, erreichen wir das auch. Ein schöner Lebensabend ist wie ein guter Nachtisch zu einem edlen Menü: Vanille-Eis mit heißen Himbeeren stelle ich mir zum Beispiel vor. »

Als er es ausspricht, läuft mir die Spucke im Mund zusammen und auch die Augen des Hundes erhellen sich für einen Augenblick «Das könnte man sogar mit wackeligen Zähnen essen», bemerkt er flüchtig, aber seine Augen röten sich schon wieder traurig. Auch ohne Zähne geht das gut», schwärmt der Esel: «Man läßt das Eis im Mund schmelzen und zerfließen und drückt die heißen Beeren mit der Zunge an den Gaumen. »

«Du wolltest mir sagen, was ihr vorhabt> hole ihn ihn in die Realität der staubigen Landstraße zurück.

«Da bin ich doch gerade dabei. Im Klartext heißt das: Wir gehen nach Bremen und machen dort Musik. So Leute wie wir sieht man selten Musik machen, da werden die Groschen schon rollen: von diesem Geld machen wir uns den Lebensabend richtig schön

Bei diesen Worten des Esels schließt der Hund seine Augen macht ein Gesicht, als spüre er mit der Zunge nach einer Plombe die sich eben aus einem Zahn gelöst hat.

Auch mir scheint die Sache zu utopisch, darum hake ich nach: «'Warum ausgerechnet nach Bremen?»

«Ich denke da an den Ratskeller. Dort gilt Altsein noch etwas ja es ist ein Ehrenprädikat. Dort gibt es die ältesten Weine weit und breit: Ihr Alter wird geradezu gefeiert, und es wird ein Ereignis  kongenialer Harmonie sein, wenn unsere gereiften Zungen in ihrer jahrhunderttiefen Süße baden. Versteht ihr? Wir haben in unserem Alter die diesem edlen Wein gemäße Zunge!

Was da meist im Ratskeller geschieht, ist Sünde, ist Vergehen an Würde und Alter des Weines. Durch kapitalistische Marktwirtschaft und  anderes Unrecht zu Geld. gekommene Lackel schlürfen edlen Rebensaft - ach, wenn sie ihn wenigstens schlürfen Sie kippen und saufen ihn! Diese Leute haben ja gar nicht den musikalischen Gaumen und die einfühlsame Zunge wie wir, Zunge, diesem ahnungslosen Lappen, sollten sie, könnte ganz woanders lecken - meinetwegen auch mich . . . »

Der Hund öffnet seine geröteten Augen, richtet sie traurig auf den Esel und sagt: «Das ist doch alles nur Neid. »

«Das ist Programm», erwidert der. «Wenn ihr wollt ist es kein Traum! Die Weine warten auf uns, und wenn wir sie trinken fängt unser Leben noch einmal richtig an. Erfüllung, nicht Abbruch soll unser Lebensabend sein, und Erlösung für den alten Wein.

Der Esel begeistert mich. Ich kriege richtig Lust auf seine Freundschaft und Gemeinschaft. Davon, daß einer  nicht aufgibt, kann eine ganze Gruppe leben. Ich schließe mich an.

Den resignierenden Köter werden wir schon irgendwie mit durchziehen.

 «Muschi ist mein Name. Ich gehe mit euch nach Bremen

 «Wunderbar», jubelt der Esel. «Drei können mehr als zwei, mein Name ist Balsam. »

«Packan», stellt sich der Hund vor. . ;

«Packen wir's an», ermuntere ich ihn «wir haben ein Ziel. »

So trotten wir die staubige Straße entlang Richtung Bremen. Ich verlasse mich auf Balsam, daß die Richtung stimmt. Wir erzählen aus unserer Vergangenheit. Balsam lacht sich schier schimmelig, als er von meinen vielen Kindern, Enkeln und Urenkeln hört. Packan renommiert mit seinem langen Stammbaum und blauen Blut. Balsam glaubt ihm nicht. Hunde mit Stammbaum hätten ganz andere Namen: Parzival, Poseidon öder zumindest Pompejus. Auf seinen Einwand, Packan sei die Koseform für Parzival, können wir zwei nur lachen. Da stiert er wieder stumm mit seinen geröteten Augen in eine unerforschliche Ferne. Schade, daß er den Stammbaum nicht bei sich hat.

Derweil wandern wir an einem allein stehenden Gehöft vorbei. Ein Hahn sitzt auf dem Tor und kräht aus Leibeskräften. So was habe ich noch nie gehört: ohne Pause und mit einer Lautstärke, als gelte es, auf der anderen Seite der Welt gehört zu werden.

<Du schreist einem durch Mark und Bein»; schaltet sich Balsam ein, «was hast du vor?

Heut Abend wird mir der Kopf abgeschnitten, weil ich morgen in die Suppe soll. Darum will ich noch einmal ganz und gar Hahn sein. Mich so recht verwirklichen, versteht ihr? Ich krähe, also bin ich. Ich krähe so laut und pausenlos, daß ich vor meinem Ende durch und durch Hahn bin.

«Wenn ich die bunten Hennen sehe, die da so munter im Mist scharren», entgegnet Balsam, «hätte ich mich an deiner Stelle ganz anders als Hahn verwirklicht. Aber wie dem auch sei - wo du dich gerade selbst verwirklicht hast, wäre es doch schade, wenn du gleich hernach stürbest. Zieh lieber mit uns fort, wir gehen nach Bremen; etwas Besseres als den Tod findest du überall, du hast eine gute Stimme, und wenn wir zusammen musizieren, so muß es eine Art haben. »

Der Hahn wendet uns eine Gesichtshälfte zu und zwinkert nachdenklich mit dem Auge. Ob er mit dem andern auch zwinkert, weiß ich nicht, weil es auf der uns abgewandten Seite ist.

«Wer sich zu früh köpfen läßt», ermuntere ich ihn, «verpaßt die Freude seines Lebensabends! «Ihr habt recht», stutzt der Hahn, «sterben kann ich nun in Frieden, weil ich mich selbst verwirklicht habe, aber das muß ja nicht gleich sein. Bleibt ihr bei eurem Angebot, ziehe ich mit euch. Mein Name ist Parzival. »

Packan schluckt und schließt leidend die Augen. «Wunderbar, sagt Balsam.

Parzival kommt zu uns herabgeflattert, macht sich mit uns auf den Weg und erkundigt sich nach unseren Plänen. Balsam erzählt,  wie die Groschen rollen, vom anschließenden Menü mit Vanille Eis und heißen Himbeeren zum Abschluß, von uralten Weinen Trockenbeerenauslese, verrauchtem Keller und so weiter. Parzival staunt darüber, was er beinahe alles verpaßt hätte, und Packan starrt traurig geradeaus, als wüßte er bereits, daß sich nichts von allem erfüllen würde.

Mir ist das im Augenblick ganz gleich. Ich freue mich einfach daran, daß ich Anschluß an eine Gruppe gefunden habe, in der mich auch Enttäuschungen nicht umhauen werden, weil sie gemeinsam erfahren und verarbeitet werden und mindestens immer einer Mut haben wird, um neue Pläne zu machen.

Es ist dämmrig geworden. In dem Wald, durch den unser Weg gerade führt, fällt das besonders auf. Wir sind müde, hungrig und durstig.

«Wir haben Glück», sagt Balsam, «daß wir eines unserer Bedürfnisse hier an Ort und Stelle befriedigen können: unser Schlafbedürfnis. Hunger und Durst zu stillen, heben wir uns für morgen auf. Schlaft euch aus, damit ihr morgen gut bei Kräften seid.

'' Schließlich wollen wir noch bis Bremen. Stichwort: Ratskeller!

Damit legt er sich unter einen Baum nieder.

Obwohl ich verdammten Hunger spüre, rufe ich: « Stichwort Vanille-Eis», klettere auf den Baum bis zur dritten Ast-Etage und strecke mich aus. «Mit heißen Himbeeren» ergänzt geschwind Parzival, als er an mir vorbei in den Wipfel des Baumes flattert.  «Mein Kopf weiß es außerordentlich zu schätzen, noch mit meinem Rumpf in ungetrübter Verbindung zu stehen »

«Dann steck ihn sicherheitshalber unter die Flügel und halt ihn fest», ist Balsams Rat aus der Tiefe.

Packan mault neben ihm: «Da ich heut weder was zu essen noch zu trinken bekommen habe, wäre ich äußerst dankbar, wenn jetzt endlich Ruhe einkehren würde. Der Schlaf tut uns allen bitter not. » .

«Schon gut, Packan, aber zum Gute-Nacht-Gruß sollte es doch allemal reichen. »

«Ich werd verrückt!» schreit Parzival plötzlich. «Da sehe ich mitten im Wald ein Licht. Das muß ein Haus sein, bestimmt, das ist ein Haus! »

«Nichts wie hin», sagt Balsam und steht wieder auf, «merk dir genau die Richtung, Parzival! Die ärmlichste Herberge ist besser als feuchtes Moos und pieksige Tannennadeln. »

«Da kriegen wir noch was gegen Hunger und Durst», jubelt Packan. «Es muß ja nicht immer Vanille-Eis sein - ein paar Knochen und etwas Fleisch dran tun es auch. »

Und schon sind wir wieder unterwegs, ein wenig aufgeregt und mit Herzklopfen, versteht sich. Allein würde ich da nie hingehen, und die anderen wahrscheinlich auch nicht - aber zusammen klappt es halt. Einer ist die Kraft des anderen, jeder ist viermal stärker als allein. Es kann jetzt passieren was will, ich hab keine Angst. Und wenn mein Bauer mit seiner Flinte in diesem Haus säße.

Das Haus sieht nicht wie ein Wirtshaus aus: kein beleuchteter Eingang, keine Aufschrift wie «Waldrestaurant» oder «Hotel zum Uhu», keine Getränkereklame - allerdings hell erleuchtete Fenster. Balsam tritt leise an ein Fenster heran und lugt vorsichtig hinein

<Was siehst du, Grauschimmel?» fragt Parzival.

«Was ich sehe?» flüstert Balsam zurück. «Einen gedeckten Tisch mit schönem Essen und Trinken, und Räuber sitzen daran und lassen's sich wohl sein. »

«Das wäre was für uns! > «Eia, wär'n wir da!»

«Fragen wir mal höflich, ob sie uns was abgeben>, schlägt Packan vor. «Die sehen nicht aus, als ob sie teilen wollten», gibt Balsam zurück, «wir müssen uns unser Teil schon selber holen.  «Wenn wir jeder zehn Jahre jünger wären wäre das wohl kein Problem . . .

«Erfolgreicher als die Kraft der Jugend ist die List des Alters! » Wir zermartern uns die Köpfe. Ein peinliches Geschäft: zu wissen, daß man listig ist, ohne den situationsgerechten Einfall zu haben. Da kommt mir die Idee: « Wir müssen sie so erschrecken, daf sie abhauen. Schrecken lähmt Kräfte und Verstand. Jeder schreit seinen Urlaut, so laut er kann, und dabei stürzen wir uns in das Haus .

«Aber durchs Fenster, damit's ordentlich klirrt», ergänzt Balsam begeistert, «das ist die Idee!»

«Und groß müssen wir wirken, riesengroß, damit die Angst, in die Tiefe geht», pflichtet Packan bei.

Zum ersten Mal seit ich kenne, wedelt er mit dem Schwanz.

«Also alle aufeinander, dann füllen wir die ganze Höhe des Fensters! > kommandiert Parzival, und schon springen Packan auf Balam, ich auf Packan, und Parzival schwingt sich auf mich. «Ich zähle bis drei», flüstere ich und kann mein Herzklopfen kaum übertönen, zumal ich jetzt die brutalen Visagen der Räuber und all die herrlichen Speisen zu Gesicht bekomme. «Bei drei lassen wir uns nach vorn durchfallen, und jeder schreit seinen Urlaut, so laut er kann. Achtung: eins - zwei - drei! » Klirrrrr: laumauwaukiriki. Ich bin ganz Schmerz, Licht und leidenschaftlicher Gesang, springe auf den Tisch, Weinkaraffe kippt um, sehe Parzival auf Kronleuchter, Räuber in panischem Schrecken zur Tür stürzen, höre Schreie:

Die Götter der Unterwelt» - «Ein wandernder Totempfahl!» Packan hängt über einem Stuhl und jault und bellt mit geschlossenen Augen. Balsam hat's nicht ganz leicht, die Hinterbeine durchs Fenster nachzuziehen, der vergossene Wein duftet betörend, die hastigen Schritte der Räuber verhallen, Eindrücke über Eindrücke! Jetzt rieche ich auch Fisch und Fleisch in meiner Nähe, und wenn mich nicht alles täuscht, wittere ich drüben auf der Anrichte Va'nille-Eis. Dann können heiße Himbeeren auch nicht mehr weit sein, schießt es mir durch den Kopf. Ich muß an Balsam denken. Der steht schon neben mir, lacht mich an und zeigt mit seinen Hufen auf Packan, der immer noch mit geschlossenen Augen nervenzersägend jault. Balsam stupst ihn zärtlich mit seinem weichen Maul: «Stell die Musik ein, Bremer Stadtmusikant, die Arbeit ist getan, jetzt folgt das Vergnügen! Iß, trink und laß dir’s wohl sein , alter Junge! »

Packan öffnet die Augen und läßt das Lächeln seines Lebens um die Lefzen spielen - oh, es tropft schon -, und dazu leuchtend braune Augen.

«Die Vorhänge zu! » schreit Parzival. «Falls die zurückkommen, dürfen sie uns nicht sehen. Wenn die uns auseinanderdividiert am Tisch fressen sehen, sind wir nicht mehr der wandernde Totempfahl! » Wir ziehen die Vorhänge zu, und dann geht's los: geräucherten Lachs mit Meerrettichsahne wähle ich mir als Vorspeise, dazu einen köstlichen Mosel, gespickter Fasan danach, als Hauptgericht ein zartes Filetsteak mit frischem Salat und einem Burgunder dazu.

Neben mir kaut Packan mit halbgeschlossenen Augen ein knuspriges Kotelett, weiter oben an der Tafel mampft Balsam über einer Schüssel Artischocken, und mitten auf dem Tisch befreit Parzival einen in Butter gedünsteten Maiskolben von seinen Körnern.

Ich kann nicht mehr, aber schon sind meine Augen und Gedanken beim Vanille-Eis auf der Anrichte, da bin ich auch schon selber dort: eine Kristallschale voll weißgelben Eises und daneben auf einer Wärmeplatte eine Kupferpfanne mit heißen Himbeeren.

Da erscheint Balsams strahlendes Gesicht neben mir: «Hab ich's nicht gesagt? Man darf nur nicht resignieren, und man muß ein Ziel haben, und sei es ein noch so kleines wie der Ratskeller in Bremen, dann kann einem auch in unseren Jahren unerwartetes Glück blühen. Jetzt brauchen wir nicht einmal mehr nach Bremen. Mit unserer Musik haben wir unser Ziel schon vor dem Ziel erreicht. - Wie wär's jetzt mit dem Eis?»

«Ach, eine kleine Pause noch», bitte , «ich kann noch nicht wieder. Schauen wir uns doch noch ein bißchen in unserer neuen Wohnung um. »

«Das ist gut», stimmt Balsam zu, «wir kennen ja erst nur den Speisesaal. Ein kleiner Gang durchs Haus schafft Raum für den ; Nachtisch. »

So besichtigen wir Küche, Bad, Schlafräume und Veranda und steigen schließlich in den Keller hinab: ein schier endloses Vorratslager tut sich vor uns auf kühle Räume voll erlesener Weine, tiefgekühlte Räume voller Fleisch und Gemüse. «Alles für uns», flüstert Balsam. «Jetzt brauchen wir nicht mehr Musik zu machen, wenn wir müssen, jetzt können wir Musik machen, wann wir wollen.

Irgendwie bedrängt mich plötzlich der Überfluß an Nahrungsmitteln. «Meinst du», frage ich Balsam, «daß das Glück unseres Lebensabends nur in Essen und Trinken besteht?>

«Nein, Muschi», antwortet er, «das Glück unseres Lebensabends beruht auf unserer Begegnung und seine Schönheit auf unserer Gemeinschaft und Solidarität. Was du hier siehst, und auch das Vanille-Eis mit den heißen Himbeeren, das oben auf uns wartet, ist nur seine Garnierung. Es schmeckt einfach besser. wenn's auch dem anderen schmeckt. »

Obwohl mein Herz sehr pocht, wage ich die Frage: «Wenn du vor Glück und Schönheit unserer Gemeinschaft sprichst - ist auch ein bißchen Zärtlichkeit drin?» - «Freilich, Muschi», sagt er und schlägt ein wenig verschämt die Augen nieder.. und dann spüre ich seine sanften Lippen warm und feucht erst am rechten, dann am linken Ohr. Es durchflutet mich bis zu den Tatzen. Kein Kater hatte das je so gekonnt. Na ja, vielleicht fehlte uns damals die Reife zu solch einem Ereignis kongenialer Harmonie.