Der Lustfrosch

(Froschkönig)

 

In den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat, hegte ich einen sehnlichen Wunsch, auf dessen Erfüllung ich versessen war. Ihr müßt das verstehen: Ich wohnte damals am Rande des großen Königsparkes in einem tiefen Brunnen. Der König hatte hübsche Töchter - das war bekannt, aber die jüngste war die allerschönste, und niemand - auch die Sonne nicht - wußte das so gut wie ich. An heißen Tagen kam sie zum Brunnen, um im Schatten der großen Linde zu spielen und ihre Füße im kalten Brunnenwasser zu kühlen. Mir schlug dann das Herz bis zum Kopf. Und wenn sie gar am Wasser ihren Rock bis über die Knie umschlug, dann mußte ich erst mal kurz untertauchen, um das alles zu verkraften. Natürlich steckte ich meinen Kopf gleich wieder aus dem Wasser, um nichts von ihrer Schönheit zu verpassen.

Wie gern hätte ich sie berührt - aber ich traute na, n nicht: Vielleicht wäre sie dann nie wiedergekommen, oder der König hätte mich entfernen lassen.

Ob sie mich wohl sah? Sie sah mich - und sah mich doch nicht. Sie sah mich, aber nahm mich nicht wahr. Sie sah durch mich und das Seerosenblatt, auf dem ich saß, hindurch in die Tiefe des Brunnens. Einmal sprang ich vom Blatt ins Wasser - platsch - und tauchte gleich wieder auf, um zu sehen, ob sie mich sah. Sie war erschrocken. <Schäm dich, Wasserplantscher», sagte sie, und dann ging sie vom Brunnen weg. Ich war zwischen Freude und Enttäuschung hin und her gerissen. Sie hatte zu mir gesprochen, aber sie war weggegangen. Die Freude setzte sich durch. «Das war der Anfang», sagte ich mir. Am Anfang war das Wort, am Ende folgt die Tat Hat sie erst mit mir gesprochen, so wird sie auch am Ende mit mir schlafen. Ich war gewiß, denn ich lebte ja in den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat.

Am nächsten Tag kam sie wieder. Sie spielte, wie so oft, mit ihrer goldenen Kugel. Sie warf sie hoch, fing sie auf, warf sie hoch, fing sie auf, lief hierhin und dahin, warf sie wieder hoch, fing sie wieder auf - ein kindisches Spiel, fand ich, aber sie hatte ihre Lust und Freude daran. Ja, zwischendurch streichelte sie die Kugel zärtlich und gab ihr gar Küßchen. «Eine goldene Kugel nüßte man sein, dachte ich und ließ das Mädchen nicht aus den Augen. Und da, plötzlich, da war's passiert: die Kugel flog hoch, das Kind griff daneben, die Kugel kollerte geradewegs auf das Brunnenloch zu- und weg war sie.

Das war meine Chance! Ich tauchte gleich nach, um die Lage zu peilen. Die Kugel lag goldrichtig. Als ich wieder auftauchte, weinte das Mädchen, daß sich einem das Herz im Leibe umdrehen konnte. «Was hast du, Königstochter, sprach ich sie an, «du schreist ja, daß sich ein Stein erbarmen möchtei»

Ach, du bist's, alter Wasserplantscher», sagte sie, «ich weine ,über meine goldene Kugel, die mir in den Brunnen fiel. »

«Sei still und weine nicht», tröstete ich sie, «ich kann wohl Rat schaffen - aber was gibst du mir, wenn ich dein Spielwerk wieder raufhole? »

Alles was du haben willst, lieber Frosch», sagte sie, «meine Kleider, meine Perlen, meine Edelsteine und noch die goldene Krone, die ich trage. »

Ihr könnt verstehen, daß ich fast betäubt war vor Glück. Ich ahnte, ich war kurz vor meinem Ziel. «Lieber Frosch», hatte sie gesagt, und sie war in einer Situation, in der sie mir alles versprechen würde. Jetzt oder nie würde sie meinen Wunsch erfüllen. Ich durfte nur nichts falsch machen. Ich mußte jetzt am Ball bleiben, am goldenen Ball. Darum überlegte ich mir jedes Wort ganz genau: «Deine Kleider, deine Perlen und Edelsteine und deine goldene Krone, die mag ich nicht: aber wenn du mich liebhaben willst, und ich soll dein Freund sein und dein Spielkamerad, an deinem Tischlein neben dir sitzen, von deinem goldenen Tellerlein essen, aus deinem Becherlein trinken, in deinem Bettlein schlafen wenn du mir das versprichst, so will ich hinuntersteigen und dir die goldene Kugel wieder heraufholen.

«Ach ja», sagte sie, «ich verspreche dir alles, was du willst, wenn du mir nur die Kugel wiederbringst. »

Alles, was du willst, hämmerte es in meinem Kopf, als ich

mit mächtigen Stößen in die Tiefe drang, <alles, was du willst!» «Ja, ich will alles, die jüngste Königstochter mit Haut und Haar!»

Da schimmerte die goldene Kugel auf dem Grund: «Komm her, du goldenes Weltenei, du bist nicht grundlos auf den Grund gekommen! o Ich schnappte es, strampelte nach oben und ließ es dem Mädchen vor die Füße rollen.

Jetzt wird sie nach mir greifen», dachte ich, «danke sagen, Küßchen geben., Pustekuchen! Sie hob die Kugel auf und eilte davon. « Warte, warte» rief ich und hüpfte ihr nach - aber was half, sie hörte mich nicht mehr. «Dich krieg ich schon noch, schwor ich ihr und mir, «dein Versprechen hab ich, und dein Vater ist ein gerechter Mann!,>

Um die Mittagszeit am nächsten Tage arbeitete ich mich die Schloßtreppe hinauf und klopfte an die Tür. Königstochter, jüngste, mach mir auf > rief ich.

Sie öffnete auch sofort, doch als sie mich sah, schlug sie die Tür schnell wieder zu. Drinnen hörte ich aufgeregtes Reden; dann ihre Stimme allein, weinerlich und stockend. - Mir war klar: jetzt erzählt sie unsere Geschichte, was sie mir versprochen und wie ich ihr geholfen habe. Das war der günstigste Augenblick, mich wieder zu melden. Ich pochte wieder an die Tür und versuchte mich poetisch:

 

«Königstochter, jüngste, mach mir auf,

weißt du nicht, was gestern du zu mir gesagt

bei dem kühlen Brunnenwassc. Königstochter, jüngste,

mach mir auf?,>

 

Da hörte ich ganz deutlich den väterlichen Baß des Alten: «Was du versprochen hast, das mußt du auch halten; geh nur und mach ihm auf. » Da öffnete sich die Tür. Ich nichts wie rein und ihr immer nach bis zu ihrem Stuhl. Sie setzte sich. Ich hockte zu ihren Füßen. lhr Kleidersaum streifte meine Haut. «Du darfst jetzt keine Nerven zeigen», sagte ich mir, «du mußt eiskalt bleiben, kalt wie ein Frosch, und meine Natur kam mir dabei zu Hilfe. «Heb mich herauf zu dir», bat ich die Königstochter höflich. Sie zögerte.

«Los,>; befahl ihr Vater. Die Solidarität der Männer ist ein Segen! Sie hob mich hoch auf ihren Schoß. In ihrer Hand, auf ihrem Schenkel . . . jetzt keine Sentimentalität! Ich sprang auf den Tisch. Aller Augen starrten auf mich: Königsvateraugen, Königsmuteraugen, Königstöchteraugen, Gästeaugen, Dieneraugen, Kochaugen- als hätten sie noch nie in ihrem Leben einen Frosch gesehen. Das konnte ich nur ertragen, wenn ich mich

ganz aufs Essen konzentrierte. So wandte ich mich an die Königstochter, jüngste: «Nun schieb mir dein goldenes Tellerlein näher, damit wir zusammen essen. » Sie tat es, und ich hielt mich ran und langte zu. Die Fettaugen der Brühe waren mir lieber als die Glotzaugen ringsum. Ich glaube, solange ich aß, war ich der einzige, der aß, und ich aß mir immer mehr Mut an. «Bist du erst mal an ihrem Tisch», dachte ich, «so bist du auch bald in ihrem Bett. Warum lange zögern?

Ohne mit der Wimper zu zucken, sagte ich zu dem schönen Kind: «Ich habe mich satt gegessen und bin müde; nun trag mich in dein Kämmerlein und mach dein seiden Bettlein zurecht danach wollen wir uns schlafen legen. >

Sie brach in Tränen aus, so daß ihre schönen Locken sich schüttelten. Einige Frauenstimmen quietschten «Igitt, und ich hörte Wörter wie «Garstig», «Gräßlich» und «Abscheulich». Sollte ich kurz vor der Erfüllung meines heißesten Wunsches alles verspielen?

Ich richtete meine Augen wie ein Märtyrer tieftraurig auf den König - und hatte Erfolg. Zornig sprach der zu seiner Tochter: Wer dir geholfen hat, als du in der Not warst, den sollst du hernach nicht verachten.

«Recht hat er», gluckste es in mir; aber dann. geschah etwas höchst Peinliches: mit zwei Fingern packte mich die Königstochter und trug mich aus dem Speisesaal hinaus, und wieder dieses gräßliche „Iiih" der quietschenden Frauen. Ich muß euch sagen, diese Demütigung hat mich hart getroffen. Aber sei's drum jetzt war ich in ihrem Schlafzimmer, wenn ich auch zunächst recht unsanft in einer Ecke landete.

Im Handumdrehen war sie im Bett, die Decke bis über den Kopf gezogen. «So haben wir nicht gewettet, Kleine», knirschte es in mir; ich kroch zu ihrem Bett, pumpte und blähte mich auf, so gut es ein Frosch eben kann; und sprach zu ihr: «Ich bin müde, ich will schlafen so gut wie du: heb mich herauf - oder ich sag's deinem Vater. »

Das hätt ich wohl besser nicht gesagt, denn sie stieß die Decke weg, hochrot war ihr Gesicht, Angst, Ekel, Wut schrien ihre Augen, sie packte mich, daß mir Hören und Sehen verging; ich war nur noch Gefühl, zerdrücktes Gefühl, dann knallte ich gegen die Wand, ein reißender Schmerz ob ich explodierte oder implodierte: ich weiß es nicht:

Als ich von der Wand herabkleckerte, schwor ich bei mir selbst: «Sei kein Frosch; laß sie in Ruh. Wenn dein Glück ihr Unglück ist, wie kannst du dabei glücklich sein?»

Da wurde mir warm,. ganz menschlich warm, und ich konnte wieder sehen und hören. Und ich sah sie ganz nah bei mir. Sie lächelte mich an. «Du bist schön», sagte sie, «komm unter meine Decke. » Natürlich kam ich - und ob ich kam! Sie schmiegte sich an mich, und wir schliefen ein. Viel schöner war's, als ich mir's zuvor bei dem kühlen Brunnenwasser vorstellen konnte. Nun ja, ich lebte eben in den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat.